War die Ahrflut ein komplexes Hochwasser?
Die Staatsanwaltschaft hat Mitte September 2022 ein Zwischenfazit an den Presseverteiler versendet. Darin wird insbesondere auf das Gutachten von Herrn Roggenkamp eingegangen.
Dieses Gutachten ist im nächsten Termin des Untersuchungsausschusses Thema, da Herr Roggenkamp als Sachverständiger gehört wird. Das Gutachten wurde in einer vergangenen Sitzung verlesen und ist somit den damals anwesenden komplett bekannt. Der genaue Inhalt des Gutachtens ist zwar evtl. auch interessant, wichtiger sind aber die Schlüsse die die Staatsanwaltschaft zieht bzw. welche Teile des Gutachtens erwähnenswert sind.
Ich werde 2 Punkte aus der Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft genauer betrachten. Zum einen die Komplexität des Hochwassers, war es wirklich so etwas spezielles? Zum anderen wann hat bzw. hätte man gesichert von einer Katastrophe und wann mit einer Katastrophe des entsprechenden Ausmaßes ausgehen können.
Komplexität
In der PM der StA steht, dass die Komplexität des Hochwassers nicht abzusehen war.
“Bei der Flut im Ahrtal habe es sich um ein Ereignis von hoher Komplexität gehandelt. Diese Komplexität sei im Vorfeld nicht abzusehen gewesen und habe sich auch nicht durch Modellierungen prognostizieren lassen. Das Ausmaß der Zerstörung sei nicht allein auf die extreme Abflussgröße zurückzuführen. Vielmehr seien große Mengen an Treibgut flussabwärts transportiert worden, was an zahlreichen Brücken zu Verklausungen geführt habe.”
Ich finde es immer einfach danach zu sagen, dass man an etwas im Vorfeld nicht gedacht hat und danach war es dann halt so, dass aufgrund des unerwarteten ein Unglück passiert ist.
Aber das zieht sich durch die gesamte Aufarbeitung des Geschehens. Jeder einzelne Teilaspekt ist nicht überraschend. Überraschend war nur wie schlecht man sich in Rheinland-Pfalz sich auf eine solche Situation vorbereitet hat.
Verklausungen
Das Wissen über Verklausungen durch Geschiebe und Treibgut ist keine Neuigkeit.
Auch im Bericht zum Hochwasser 1804 sind abtreibende Bäume mit verheerenden Folgen genannt.
Die Abfolge Verklausung -> Einsturz ist somit bei einem Hochwasser mit der entsprechenden Wassermenge der Normalfall und somit auch vorherzusehen.
Es gibt eine Publikation aus Österreich von 2012 die das strukturierte Vorgehen Verklausungen von einer Brücke zu simulieren beschreibt.
9 Jahre sind in dem Bereich eher eine kurze Zeit und diese Modelle werden nicht Einfluss in die Modelle der LfU gefunden haben. Aber es ist durch Modellierungen möglich dies zu erkennen.
Es war auch im Ahrtal bekannt, dass Treibgut zu Rückstau führen kann. Folgender Bereicht war am 14. Juli im General-Anzeiger:
Die Brücke zum Sportplatz bei Mayschoß beispielsweise ist bereits gesperrt und die Geländer umgelegt, „so dass kein Treibgut hängen bleiben kann und an der Brücke einen Rückstau verursacht“, so Hubertus Kunz.
Zusätzlich war beim Runden Tisch zum Hochwasser 2016 wiederholt das Thema Totholz ein Thema. Wobei 1804 durch die schiere Wassermenge auch ganze Bäume mitgeführt wurden. Somit ist Totholz nur ein Synonym für die Materialien, die die Brücken verstopfen.
Im beim runden Tisch genannten Leitfaden sind auch eindrucksvoller Bilder von Verklausungen enthalten.
Und eine Lösung dagegen auch. Nur habe ich keinen Überblick wie viele dieser Treibgutfänger im Ahrgebiet aufgebaut waren.
Ex-Post lässt sich sagen es wurde sich nicht genug angestrengt hier genauer die Wasserflüsse zu betrachten.
In unserer Gemeinde wurde ein Konzept zur Erstellung einer Starkregenkarte vorgestellt. Dort wurden die Durchlässe und Brücken in der Kalkulation komplett weggelassen, da die Aufnahme der Profile wohl zu viel Zeit benötigen würde. Bei einem Fluss wie der Ahr mit 112 Brücken wäre es auch ein sehr hoher Aufwand gewesen diese in ein 3D-Modell aufzunehmen.
Der Kanton St. Gallen hat aber beispielsweise eine Arbeitshilfe zur Beurteilung der Verklausungsgefahr bei an Brücken oder Durchlässen erstellt.
Diese ist zwar hauptsächlich für die Planung von neuen Brücken und Durchlässen gedacht. Aber es zeigt, dass eine strukturierte Bewertung von Brücken möglich ist.
Hier wäre meiner Meinung nach die Aufgabe gewesen bei jeder Brücke in einer Ortslage die Aufgabe die Verklausungsgefahr bei verschiedenen Abflüssen zu bestimmen und zu veröffentlichen.
Fazit
Es war in Rheinland-Pfalz leider nicht Stand der Technik, dass für bestehende Brücken jeweils die Verklausungsgefahr abhängig von der Abflussmenge geschätzt/bestimmt wurde. Auf jeden Fall habe ich dazu bisher keine Veröffentlichungen gefunden. Eine Übersicht über das Profil aller Brücken wurde bisher auch noch nicht veröffentlicht.
Ex-Post ist zu sagen, dass hier die hydrologischen Modelle leider wohl nur für Schönwetterereignisse gedacht sind und deswegen ab einem gewissen Abfluss keine nützlichen Werte mehr ausspucken.
Dem Katastrophenschutz würde es helfen für jede Brücke zu wissen ab welchem Abfluss Verklausungen stattfinden können und ab welchem Abfluss sie nicht mehr ausgeschlossen werden können, sie also in 90% der Fälle passieren werden.
Die Kombination von HQextrem ~ 310 m³/s und Abfluss > 500 m³/s führt meiner Meinung nach dazu, dass bei Brücken die eher nur auf HQ100 (~241 m³/s) ausgelegt waren, dass bei nahezu alle Brücken Verklausungen nicht ausgeschlossen werden konnten. Somit hätte man in den Modellen für die Hochwassergefahrenkarte bei realistischen Werten für HQextrem (1804 ~ 1000 m³/s) oder auch Werte wie 1910 (500 m³/s) mit eine Dammbildung an vielen Stellen rechnen müssen.
Aber da man 2010 sich die Mühe gescheut hatte in die Archive zu gehen wurde mit zu kleinen Werten gearbeitet. Siehe vorläufige Bewertung des Hochwasserrisikos 2010 und 2018.
Genauer betrachtet in meinem Artikel vom April 2022.
Wann war frühestens das Hochwassergesehen absehbar
Weiter unten in der PM der Staatsanwaltschaft steht:
“Das tatsächliche Hochwassergeschehen habe sich insbesondere durch die Warnungen der Hochwassergefahr sowie der Pegelprognosen frühestens um 20:22 Uhr prognostizieren lassen.”
Das ist mir deutlich zu spät. Dies werde ich anhand der Pegel Müsch und Altenahr entsprechend erläutern.
Müsch
Der Pegel in Müsch war am 14. Juli etwas zickig. Zuerst hat der redundante Pegel ab 13:30 bis etwa 19.15 keine Daten gesendet um danach wieder etwas zu senden und dann ist um 15:30 der Hauptpegel ausgefallen.
Für den Pegel wurden per Email Warnungen an den Kreis mit den intern berechneten Prognosen versendet:
Der Hauptpegel ist um 15:30 mit einem Pegelwert von 253 cm ausgefallen. Dass um 18:26 eine Email mit einer Prognose von maximal 290 cm versendet wurde und dies nicht genauer betrachtet wird ist meiner Meinung nach weiterhin ein Skandal.
Aber wichtige Punkte nicht genauer zu betrachten ist bei der Aufarbeitung der Flutkatastrophe eher üblich als eine Ausnahme.
Der Pegelwert für HQ100 ist in Müsch etwa 284cm. Dieser Wert wurde laut verspätet gesendeter Daten um 16:15 Uhr bei einer Tendenz von 7cm Steigung in 15 Minuten überschritten. Somit war für den Flussabschnitt Müsch bis Altenahr die Einschätzung als Extremhochwasser zwischen 16:15 Uhr und 17:30 Uhr erreicht.
Die Durchflüsse am Pegel Müsch von 216 m³/s bzw. 310 m³/s wurden 17:00 Uhr bzw. 17:45 Uhr überschritten. Somit war auf einem Einzugsgebiet das etwa die Hälfte (352 km²) dessen vom Pegel in Altenahr (746 km²) bemisst schon alleine die für HQ100 und HQextrem relevanten Werte erreicht.
Die Information über die Pegelstände kam leider weder bei der Einsatzleitung in Ahrweiler noch bei der LfU in Mainz an, da bei Ausfall der Technik keine weitere Redundanzstrategie geplant war. Die Pegelbeobachter haben wohl bei Starkregen keine Rufbereitschaft und somit hat man einen blinden Fleck der dazu führt, dass Folgeeinschätzungen fehlerhaft sind.
Fazit
Zu einem sehr frühen Zeitpunkt war schon viel Wasser im Ahrbett unterwegs. Die Warnmeldung lila für die Ahr hätte mit den Istwerten schon 16:15 Uhr versendet werden müssen. Somit war 16:15 Uhr das Wissen über ein Extremhochwasser vorhanden.
Umgekehrt war das Umweltministerium um 16:43 Uhr in der Pressemitteilung noch anderer Meinung:
“Wir nehmen die Lage ernst, auch wenn kein Extremhochwasser droht”
“So sollten Campingplatzbetreiberinnen und -betreiber entsprechende Vorkehrungen treffen, da ufernahe Bereiche überspült werden können.”
Hier war man auf einem komplett veralteten Stand.
Altenahr
Die Probleme am Pegel in Müsch führten meiner Meinung nach schlüssig zum Sondereffekt, dass die Prognose der LfU zwischen 18:26 Uhr und 20:05 Uhr für den Pegel in Altenahr zu niedrig war. Nach 20:05 Uhr wurden die Pegelprognosen nur mehr oder weniger an den Istwerten nachgeführt, eine proaktive Vorgehensweise war somit nicht möglich.
Somit ist gerade während des Besuchs des Landrats und des Innenministers für ein tolles Foto beim Krisenstab die Prognose des maximalen Ausmaßes der Flut unterschätzt worden.
Die Prognose in der Email an den Kreis um 18:26 Uhr war, dass der Maximalwert (~403cm) in Altenahr gegen 6 Uhr am Folgetag erreicht wird. 403 cm ist zwar über HQ100 aber unter dem Wert von 427cm für HQextrem. Für Ahrweiler wäre bei einer Fließzeit von 2h dann der Maximalpegel gegen 8 Uhr erreicht gewesen.
Die Realität sah aber schon um 19:30 Uhr anders aus. Der Pegel war schon bei 391cm bei 25cm-30cm Steigerung in 15 Minuten. Um 19:45 Uhr war mit 429cm der Wert der 18:26 Prognose doppelt pulverisiert. Zum einen wurde HQextrem deutlich überschritten zum anderen nicht um 6Uhr sondern schon 10 Stunden früher.
Hier rächt sich, dass nicht wie in Baden-Württemberg die Prognosen stündlich nachgeführt werden.
Achtung
Leider wurde es bisher versäumt die Modelle mit verschiedenen Werten für den Pegel Müsch zu füttern. Ich würde schätzen, dass die Prognose für Altenahr um 18:26 Uhr mit “korrekten” Werten für Müsch um 18:26 die Überschreitung von HQextrem vor 20:00 Uhr gesehen hätte und auch einen Maximalwert von weiterhin über 600cm angezeigt hätte.
Folgen
Die Folge war, dass die im Modell geschätzte Geschwindigkeit des Pegelanstiegs in Altenahr durchgehend übertroffen wurde.
Hier hätten meiner Meinung nach entsprechende Warnlampen angehen müssen. Die Prognosen haben durch einen technischen Ausfall ein komplett falsche Bild gezeigt.
Erklärung Hochwassermeldezentrale
Das UM/LfU bleibt bei der vorgeschobenen Erklärung “veränderte Wetterprognosen”.
Das mitgelieferte Schaubild der Prognosen vs. Realität zeigt für die 3 im Bericht genannten Pegel für die Prognose 7h vor Höchststand jeweils ein Abfallen der Werte.
Bei den Pegeln Korden und Prümzurlay hatte dies aber die Folge, dass die Werte korrekter waren. Nur bei Altenahr ist eine so große Diskrepanz zu erkennen.
Fazit
Für Altenahr hätte mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit mit einer korrekten Redundanzstrategie für den Pegel in Müsch um 18:26 Uhr die Prognose für den Pegel einen früheren und höheren Pegelanstieg gezeigt. Somit wäre um 18:30 Uhr die Chance gewesen für den Abschnitt Altenahr bis Walporzheim die flussnahen Gebiete zur evakuieren.
Durch die zu niedrige Prognose dauerte es leider bis nach 20:00 Uhr bis die Erkenntnis über einen Pegelwert über HQextrem zur Gewissheit wurde.
Die Katastrophe war gegen 20:00 an den gemessenen Werten in Altenahr ersichtlich. Eine Unterstützung aus dem Hochwassermeldezentrum in Mainz blieb leider aus. Sonst wäre schon mit der Prognose um 18:30 das Ausmaß erkennbar gewesen.
Bad Bodendorf
Nur der Vollständigkeit halber die Pegelprognosen für Bad Bodendorf.
Auch hier die gesenkte Prognose um 18:26 Uhr. Zusätzlich wurden auch hier die Höchststände früher erreicht bzw. die Prognosen übertroffen. Für die Beurteilung wird dieser Pegel aber nicht betrachtet, da auf der Webseite des Hochwassermeldedienstes keine Prognose für diesen Pegel veröffentlicht wird.
Fazit
Durch die fehlende Veröffentlichung der Prognose auf den Seiten des Hochwassermeldedienstes für den Pegel Bad Bodendorf war dieser Pegel für den Katastrophenschutz ohne Wert. Die Schwankung der Prognose hatte keinen Einfluss, da diese nur wenigen Personen zugegangen ist.
Für den Flussabschnitt Ahrweiler bis zur Mündung hätte es ein Fenster von 2–4 Stunden gegeben in der mit einem zusammenziehen von Experten vor 20:00 Uhr die folgenden Auswirkungen besser abschätzbar gewesen wären. Damit hätte man früher und umfassender die Evakuierungszonen bestimmen können.
Ausblick
Die Ahr ist ja auch kein unbedeutender Fluss, sondern an Platz 10 in Schadenssumme bzw. Rang 9 in Anzahl betroffener Personen in Rheinland-Pfalz.
Da würde ich, auch wenn es ein “kleines” Einzugsgebiet ist, etwas mehr Aufmerksamkeit wünschen wenn der Abstand zwischen Prognosen und Realität zu groß ist.
Die Verstärkung des Abflusses durch die durch Trockenheit geschädigten Wälder mag zwar auch nicht vorherzusehen gewesen sein, führt aber im Ergebnis trotzdem zu dem Punkt Abweichung Modell <-> Pegelstände und somit -> Alarm.
Mich stört es weiterhin, dass die Ahr nicht in der Hochwassermeldeverordnung enthalten ist. Leider ist die geplante Änderung nicht veröffentlich worden und somit bleibt es nebulös was da in Zukunft geplant wird.
Wo lag der Fehler?
Ex-Post bin ich weiterhin der Meinung, dass viele einzelne Fehler zur Katastrophe geführt haben.
- Unzureichende Betrachtung historischer Hochwasser
- HQ100 und HQextrem waren zu niedrig
- Brückendurchfluss war für das echte HQextrem zu klein
- Pegelausfälle konnten nicht aufgefangen werden
- Verschiedene Modelle Gebietswarnungen — Flusswarnungen
- Keine stündlichen Aktualisierungen der Prognosen
- Keine Veröffentlichung von Ensembleprognosen
- Verklausungen von Brücken bei HQextrem wurden nicht betrachtet
- Abweichungen Modell — Wirklichkeit hat nicht zu einem Eingreifen geführt
- Aufhebung der 18:26 Uhr Prognose wurde nicht kommuniziert
- Ahr war kein Fluss im Sinne der Hochwassermeldeverordnung
- Treibgutfänger wurde nicht installiert
- ILS in Koblenz hatte keinen kurzen Draht nach Bad-Neuenahr-Ahrweiler. ILS konnte somit kein Lagebild mit der TEL besprechen
- Ausfall von Funknetzen und Festnetz
Die Liste ist sicher nicht vollständig. Aber
Das Wetter ist meiner Meinung nach unschuldig.