Thomas Strub
9 min readApr 7, 2022

Hat die LfU Rheinland-Pfalz historische Hochwasser unzureichend betrachtet?

Die Missachtung von historischen Hochwassern des Umweltministeriums Rheinland-Pfalz 2010, 2018 und 2022

Ich analysiere weiterhin wieso die Menschen im Ahrtal vom Hochwasser überrascht wurden und will hier auf einen elementaren Punkt des Hochwasserschutzes bzw. der Prävention genauer eingehen.

Aus der Vergangenheit lernen — historische Hochwasser betrachten. Hochwasser-Demenz begegnen

Ich habe in meinen bisher geschriebenen Artikeln unter anderem folgende Probleme bei der Flutkatastrophe im Ahrtal beschrieben

  • fehlende Integration der Kenntnis über historische Hochwasser insbesondere 1910 und 1804 somit waren die Werte für HQextrem und HW100 zu niedrig
  • Pegelbezogene Vorwarnung hat Hochwasserpeak zu spät gesehen
  • Pegelbezogene Vorwarnung hat Hochwasserpeak zu niedrig gesehen
  • Pegelbezogene Vorwarnung war nach Pegelausfall in Müsch noch schlechter (später und niedrigere Prognose)
  • Unzureichende Alarm- und Einsatzpläne Hochwasser (1922 noch wurde aus Müsch der Unterlauf informiert)

Aufarbeitung des Punktes Integration historische Hochwasser

Ich bin nicht der erste und einzige, dem es aufgefallen ist, dass es historische Hochwasser gab. Der Fachbegriff für das Verhalten ist Hochwasser-Demenz.

Gab es an der Ahr bekannte historische Hochwasser?

In den Heimatjahrbüchern des Kreises Ahrweiler wurde 1955 ein Artikel von Herrn Frick über das Hochwasser von 1804 und 1983 eine umfassende Auflistung von Herrn Seel der Folgen von vielen historischen Hochwassern seit 1410 beschrieben.

Diese Information ist qualitativ schwer nutzbar, jedoch wurde in weiteren Arbeiten von Büchs 2003 (LfU RLP) mit 500m³/s für das Hochwasser 1910 und Roggenkamp/Herget 2014 (Uni Bonn) mit 549 m³/s (Dernau) für 1910 und 1208 m³/s (Dernau) für 1804 Werte für Abflüsse genannt. Diese Abflusswerte lassen sich einfacher auf die jetzige Situation umrechnen und damit wäre es notwendig gewesen die Werte für HWextrem in Altenahr und flussabwärts um mehrere Meter nach oben zu setzen.

Somit hätte der Alarm und Einsatzplan der VG Altenahr nicht bei 3,7m geendet sondern hätte auch noch Einträge für 5–8m beinhaltet.

Sonderalarmplan VG Altenahr Hochwasser 2017

DKKV-Newsletter

Im DKKV-Newsletter vom September 2021 ist dies auch im Editorial beschrieben

Untersuchungsausschuss

Die CDU RLP hatte etwas ähnliches in ihrem Zwischenbericht des Untersuchungsausschusses für die Flutkatastrophe aufgegriffen.

Zwischenfazit CDU RLP Untersuchungsausschuss Flutkatastrophe

Hier ist mir nicht klar aus welcher Quelle die Einschätzung, dass ein mit dem Hochwasser 2016 vergleichbarer großer Abfluss von 216 m³/s in etwa HQ30 sein soll, ist.

Wobei die Nutzung der von Herget/Roggenkamp 2022 in HyWa vergestellten Grafik dies durchaus als plausibel erscheinen lässt.

HyWa 2022 Projektbericht Herget/Roggenkamp

Grundsätzlich gefällt es mir nicht, dass Gutachten nicht direkt veröffentlicht werden. Das ergibt eine Informationsasymmetrie, die die beobachteten Stellen besser stellt als die Medien und die interessierten Bürger.

Reaktion Umweltministerium RLP

Erst die Pressemitteilung der CDU hat das Umweltministerium dazu bewegt zu manchen Punkten Stellung zu nehmen. Ich greife hier nur einen Satz heraus.

Stellungnahme MKUEM RLP 21.03.2022

Meine Reaktion auf diese Aussage

Dieser eine Satz

Die Verwendung von singulärer historischer Hochwasserereignisse ist keine übliche Praxis bei der Erstellung der Hochwasserstatistik

hat mich ratlos gemacht und geschockt. Bei jeder mir bekannten Risikobetrachtung werden historische bzw. vorangegangene Ereignisse analysiert. Es mag ja möglich sein, dass die Anwendung des historischen Ereignisses nicht passt oder es andere gute Gründe gibt die historischen Ereignisse nicht zu betrachten, aber es ist kein Grund zu behaupten, dass es unüblich ist.

Gesetzliche Vorgaben

Die EU-Richtline 2007/60/EG zum Hochwasserrisikomanagement gibt für den Prozess der Risikobewertung sehr enge Vorgaben

EU Richtlinie 2007/60/EG

Diese Richtlinie gilt nicht direkt, aber wird im Bundesgesetz WHG §73 referenziert:

WHG §73

Für diese Aufgabe ist in Rheinland-Pfalz die LfU zuständig.

LWG §80

Die LfU ist nachgeordnete Behörde des Umweltministerium, somit sollten deren Aufgaben dem Umweltministerium bekannt sein.

Es ist also nach den gesetzlichen Bestimmungen für das Risikomanagement Vorgabe historische Hochwasser zu betrachten. Somit ist es Pflicht und es gibt wenig Ermessensspielraum. Es als unüblich hinzustellen ist für mich eine Täuschung der Adressaten.

Was ist in anderen Bundesländern üblich?

Mein Heimatbundesland Baden-Württemberg:

Im Dokument mit dem etwas sperrigen Namen

LUBW

wird das Verfahren zur Nutzung historischer Hochwasser vorgestellt.

Im Anhang 2 wird auf eine ausführliche Darstellung verwiesen:

Dieser Link aus dem Dokument geht mittlerweile ins Leere. Ich habe eine Anfrage gestartet ob sie mir die dort genannten Ereignisse zukommen lassen können.

Aber ich vermute, dass die 6200 historischen Hochwassermarken seit 1511 für die Hochwasserrisikobetrachtung verfügbar waren.

LUBW

Hier hatte sich die Landesanstalt für Umwelt Baden-Württemberg die Mühe gemacht um strukturiert die historischen Hochwasser über die Nutzung der Hochwassermarken zu erfassen. Diese wurden wahrscheinlich für die Risikobewertung genutzt.

Bayern:

LfU Bayern

Zeitlich passend ist 2008 in Bayern die Zusammenstellung “Leben mit dem Fluss Hochwasser im Spiegel der Zeit” entstanden:

Bayerisches Landesamt für Umwelt

Dort wurden nicht nur aktuelle Hochwasser oder welche an den 3 größten Flüssen Bayerns betrachtet. Sondern beispielsweise auch eins von 1873 an einem extrem kleinen Einzugsgebiet mit 11 Todesfällen.

Bayerisches Landesamt für Umwelt

Sachsen:

wasser.sachsen.de

Für 3 Bundesländer konnte ich nach kurzer Recherche ermitteln, dass die Nutzung historischer Hochwasserereignisse eine übliche Praxis zur Bewertung von Extremereignissen ist. Dies hatte ich nach geltender Rechtslage auch so erwartet. Bayern und Baden-Württemberg haben nachweislich strukturiert im Zeitraum zwischen 2005 und 2010 die historischen Hochwasser auch an kleinen Einzugsgebieten erfasst.

Rheinland-Pfalz

Es ist ja nicht so, dass in Rheinland-Pfalz diese Rechtslage dem Umweltministerium nicht bekannt war. Ich habe eine Anfrage nach Landestransparenzgesetz beim Umweltministerium gestartet um mir den Vorgang der Prüfung 2010 und für die Aktualisierung, die bis zum 22. Dezember 2018 abgeschlossen werden musste erklären zu lassen.

Das hat mich nicht davon abgehalten ein weiteres mal genauer in die veröffentlichten Dokumente zu schauen.

Aus 2010, was in engem Zusammenhang mit der oben genannten Rechtslage steht gibt es folgendes Dokument “Bewertung des Hochwasserrisikos in Rheinland-Pfalz”

Hier wird in Abschnitt 3 die Methode zur Betrachtung historischer Hochwasser durchgeführt.

Umweltministerium RLP 2010

Für die Nahe wird weiter hinten im Dokument das Hochwasser von 1875 mit 32 Todesfällen aufgeführt, auch sind für die Nahe die Hochwasser 1918 und 1920 gelistet.

Anhang 1 Bewertung des Hochwasserrisikos in Rheinland-Pfalz 2010

Diese beiden hatten wahrscheinlich auch an der Ahr Schäden verursacht. Zumindest wurden Altenahr Hochwassermarken im Tunnel angebracht.

Roggenkamp/Herget 2015

Genannt oder ausgewertet wurden diese Hochwasser von 1918 und 1920 an der Ahr 2010 in der Bewertung von historischen Hochwassern nicht.

Zur Erinnerung:

Zusätzliche aufwendige Erhebungen in Archiven, Dorf- und Stadtchroniken wurden nicht durchgeführt

Somit wurde 2010 dokumentiert und somit bewusst die EU-Richtlinie nicht umgesetzt wie ich es erwarten würde.

Aktualisierung 2018

Der folgende Text ist identisch zur Bewertung 2010:

Vorläufige Risikobewertung 2018 — LfU RLP

Es hätte 2018 bei der geforderten Überarbeitung die Chance gegeben dies nachzuholen. Somit ist 2010 und 2018 jeweils der gleiche Fehler gemacht worden.

Nachfrage 2022

Die Antwort auf meine Nachfrage beim Umweltministerium war:

die von Ihnen (mir) zitierten Quellen zur EU-Richtlinie beziehen sich auf die vorläufige Bewertung des Hochwasserrisikos, die auf Basis vorhandener oder leicht abzuleitender Informationen durchgeführt und u.a. eine Beschreibung vergangener Hochwasser mit signifikanten nachteiligen Auswirkungen umfassen soll.

Das bedeutet hier habe ich eine andere Meinung als die Abteilung 3 Wasserwirtschaft des Umweltministeriums. Diese lesen wohl nur bis vorhandener oder leicht abzuleitender Informationen und lesen den Absatz nicht fertig. Dort steht nämlich

Sie umfasst zumindest Folgendes:

a) …

b) eine Beschreibung vergangener Hochwasser, die signifikante nachteilige Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit, die Umwelt, das Kulturerbe und wirtschaftliche Tätigkeiten hatten und bei denen die Wahrscheinlichkeit der Wiederkehr in ähnlicher Form weiterhin gegeben ist, einschließlich ihrer Ausdehnung und der Abflusswege sowie einer Bewertung ihrer nachteiligen Auswirkungen;

Die Flut von 1910 im Ahrtal mit über 90 Todesfällen hatte signifikante nachteilige Auswirkungen für die Gesundheit 90 Menschen. Somit wäre es gegeben gewesen dieses Hochwasser entsprechend bei der Risikobewertung zu beschreiben.

Bewertung

Das Umweltministerium kann zwar erfolgreich behaupten, dass die Werte HQ100 in einem für Pegel ohne historische Pegelmarken üblichen Verfahren berechnet wurden.

Aber das hat das Umweltministerium RLP bzw. die LfU RLP nicht davon befreit historische Pegelmarken für die Berechnung bzw. Beschreibung von HQextrem zu nutzen. Es muss aber mindestens (zumindest) eine Beschreibung der Hochwasser mit signifikanten nachteiligen Auswirkungen erstellt werden. Dies ist bisher unterblieben.

Ich komme damit zu folgendem Ablauf:

eigene Darstellung

Es ist somit unter anderem der unvollständigen Ausführung der EU-Richtlinie von 2007 geschuldet, dass der Hochwasser-Demenz nicht ein sinnvoller Baustein entgegen gehalten worden ist.

Ob ich die LfU RLP zur Umsetzung in dem von mir erwarteten Sinne gerichtlich zwingen könnte ist mir noch unklar, da werde ich aber dran bleiben.

Unabhängig von der Vorgabe aus der Richtlinie wäre es auch möglich gewesen frühzeitig aufgrund von anderen Überlegungen mehr für das Hochwasserrisikomanagement zu machen.

Wunsch

Anpassung Hochwassermeldeverordnung

Die Recherche und Beschreibung der historischen Hochwasser alleine hätte direkt keine große Auswirkung gehabt. Meiner Meinung nach wahrscheinlich am ehesten in den Alarm- und Einsatzplänen des Katastrophenschutzes, wenn es sie denn überhaupt gibt.

Für die vom Land zu verantwortete Warnung der Bevölkerung durch den Hochwassermeldedienst wäre es aber auch die Gelegenheit gewesen mehr als 1986 festgelegt zu tun.

Im den Voruntersuchungen sind jeweils im Anhang 5 die angenommenen Schäden und angenommene betroffene Einwohner für ein HW100 (2010) bzw. EHG (2018) für die betrachteten Flussgebiete aufgeführt.

Umweltministerum RLP 2010
LfU RLP 2018

Dies hätte ich verwendet um die 9 Flüsse, die in der Hochwassermeldeverordnung genannt sind zu ergänzen.

Landesrecht RLP

Es würde meiner Meinung nach helfen mindestens die Flüsse, die unter Top 10 im Schadenspotential oder Top 20 nach der Anzahl an betroffenen Personen bei EHQ liegen auf zu nehmen.

LfU RLP 2018 — eigene Darstellung

Somit würden mindestens die Flüsse Queich, Ahr, Eisbach, Rehbach-Speyerbach, Hornbach, Schwarzbach, Pfrimm, Flossbach, Isenach, Wied, Olewigerbach, Selz, Kyll, Appelbach und Seebach in die Hochwassermeldeverordnung aufgenommen werden.

Dies hätte entsprechende Folgen für die gelb markierten Abläufe. Bisher sind diese Flüsse mit erheblichen Schadenspotential hier nicht integriert und somit werden sie in den zentral automatisierten Prozessen nicht betrachtet.

HW-Meldeplan Teil 1 RLP

Die oben genannten Recherchen der signifikanten historischen Hochwasser würde ich für alle Flüsse mit mehr als 1000 betroffenen Personen bei EHQ vorschlagen. An Rang 28 ist die Heller mit 1095 betroffenen Personen. Somit wären für etwa 20 weitere Flüsse Archivrecherche und die Aufnahme der historischen Hochwassermarkierungen notwendig.

Fazit

Mich stört es, dass gefordertes und nahe liegendes nicht getan wurde. Aber noch mehr stört es mich, dass es bisher nicht geplant ist hier Punkte zu verbessern.

Problem ist für die handelnden Personen, dass jede Änderung als Schuldeingeständnis gewertet werden könnte und somit wird lieber nichts getan. Das wird den Menschen vor Ort und an anderen Flussgebieten in Rheinland-Pfalz aber nicht gerecht und beim nächsten Hochwasser steht man wieder da und wundert sich dann wieso die neuen Sirenen und der Cell-Broadcast nichts gebracht haben.

Thomas Strub
Thomas Strub

Written by Thomas Strub

Diplom Informationswirt. Arbeite als Softwareentwickler. Schlage zu oft die Hände über dem Kopf zusammen wenn ich S-Architektur sehe — Lebe im schönen Breisgau.

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