Rolle des Hochwassermeldezentrums in Rheinland-Pfalz

Hochwasser Ahrtal

Thomas Strub
11 min readAug 24, 2021

Update 27.8.2021 Einarbeitung Antwort auf Nachfrage LfU

Ich hatte in meinen Artikeln zum Hochwasser im Ahrtal und der Meldekette herausgearbeitet, dass unter anderem die Hochwasserfrüherkennung und Prognose durch das Hochwassermeldezentrum der LfU in Mainz nicht wie von mir erwartet lief.

Aufbau dieses Artikels

Zuerst beschreibe ich die Aufgabe des Hochwassermeldezentrums und Stelle einige der Meldungen und Warnungen von 14 Juli 2021 vor.

Im zweiten Teil beschreibe ich wie es im Vergleich dazu in anderen Bundesländern gemacht wird.

Im dritten Teil beschreibe ich was das Hochwasserinformationszentrum Rheinland-Pfalz schon an Verbesserungen durchgeführt und vorgeschlagen hatte und nenne weitere Punkte die ich mir wünschen würde.

Beschreibung der Situation Juli 2021

Nach Details was genau Aufgabe und Ergebnisse des Hochwasserinformationszentrums sind habe ich direkt und mit einer fragdenstaat Anfrage gefragt. Die LfU hat vor Ende der automatisch gesetzten Frist auf die Anfrage über fragdenstaat geantwortet. Eine Antwort auf andere Fragen steht noch aus. Aber die jetzt vorhandene Information ermöglicht es etwas genauer die Arbeit der LfU bzw. des Hochwassermeldezentrums zu betrachten.

Update 27.08.2021

Meine Nachfragen wurden beantwortet.

Aufgabe des Hochwassermeldezentrums der LfU

Das Land Rheinland-Pfalz betreibt einen Hochwassermeldedienst für die großen Flüsse und seit 2008 einen Hochwasserfrühwarndienst für kleine Einzugsgebiete. Die Ahr ist mit 897 km² Einzugsgebiet weder ein großer Fluss, aber ist über der Grenze, die als kleines Einzugsgebiet < 500 km² genannt wird.

http://fruehwarnung.hochwasser-rlp.de/ahr-einzugsgebiet.28.html

Somit gibt es an der Ahr keine Lageberichte und auch keine Dauerbesetzung der Hochwasserzentrale, wenn entsprechende Pegelmarken/Prognosemarken überschritten werden.

Welche Meldungen sind für die Ahr vorgesehen?

Die Ahr ist im regionalen Hochwassermeldeplan für den Rhein enthalten:

Das HW von 2016 war 2018 noch nicht nachgetragen.

Die Wasserstandsvorhersagen für Altenahr/Ahr wurden 2018 im Meldeplan Rhein im Abschnitt Mittelrhein beschrieben. Die Zuständigkeit liegt bei der LfU. Die Ahr ist in der Frühwarnung ein eigenes Warngebiet.

Aber zu viel darf man auch nicht erwarten:

In dieser Grafik sind Hauptpegel aufgeführt:

Die Ahr ist somit kein Hauptpegel

Dienstzeiten des Hochwassermeldedienstes:

Ein Hochwasser an der Ahr alleine führt nicht zur planmäßigen Aufgabe zur Erstellung von gesonderter Information für die Behörden und Bevölkerung. Es werden geplant nur die automatisch erstellten Hochwasservorhersagen verteilt. Standardmäßig wird nicht in einen 24h Betrieb bei Hochwassergefahr übergegangen.

Gewässerforum 2017

In einer Präsentation für das Gewässerforum 2017 wurde die Ahr auch als Zwischending zwischen den richtigen Vorhersagen und den Gebietsvorhersagen benannt:

NDS Gewässerforum Präsentation LfU RLP

Inhalt Hochwasservorhersage

Es werden für die Ahr im Gegensatz zum Rhein eigene oder besser ausgedrückt “unabhängige” Vorhersagemodelle verwendet

In Zukunft soll ein Wahrscheinlichkeitsband veröffentlicht werden:

Aber das Projekt für die Ahr war noch nicht gestartet:

Das Ergebnis waren Stand 2021 folgende Grafiken, die für die Ahr erstellt wurden:

Vorhersagen Webseite

https://fragdenstaat.de/anfrage/hochwasser-ahr/622728/anhang/20210714_VZP1700_M1815-ALTENAHR.jpg

Email an den Landkreis

Vorhersagen, die im 3 Stundenintervall per Email an die Katastrophenschutzbehörden versendet wurden.

Email an Landkreis 14.7.2021 18:26

Der Pegel in Müsch ist in den EMails an den Landkreis auch mit einer Prognose versehen. Für einen Pegel mit 352 km² Einzugsgebiet durchaus sinnvoll. Nur auf der Webseite fehlt die Information der Abschätzung für die Zukunft.

Emails an Landkreis 14.7.2021 15:26, 18:26, 21:26

Datenproblem 16:00 Uhr

Die Pegelvorhersage in Müsch hat die Besonderheit, dass der Messwert für VZP 16:00 weniger und kleinere Werte beinhaltet als für die VZP 13:00 drei Stunden zuvor. Dies hatte mit Sicherheit einen Einfluss auf die Prognose in Altenahr.

Die Pegelprognose kam aus Mainz vom Hochwassermeldedienst. Aber 18:26 niedriger als 15:26

Update 27.08.2021

Die Erklärung ist, dass der Hauptpegel in Müsch ausgefallen ist und deswegen der Redundanz Pegel verwendet wurde. Das Redundanzsystem hatte hier aber die schlechte Eigenschaft, dass die Werte noch älter waren und somit die Steigerung von 2 h ausgeblendet wurde.

Keine Mails vor 15:00

Die früheren Vorhersagen wurden nicht automatisch per E-Mail an den Landkreis versendet, da diese nur versendet werden wenn innerhalb der nächsten 5h der Warnwert überschritten wird.

Keine E-Mail Warnungen Flussaufwärts

W

Hochwasserfrühwarnung

Die Hochwasserfrühwarnung ist auch eine Aufgabe der LfU. Stand 2018 gab es noch kein Meldeverfahren für die kleinen Einzugsgebiete an der Ahr.

Im Bericht von 2018 steht, dass für die Frühwarnung in kleine Einzugsgebieten eine Rufbereitschaft angewendet wurde und diese auch stündlich Berechnungen für die Frühwarnung berechnet hat.

Wie jetzt?

Das HMZ wird bei einem Hochwasser an der Ahr (kein kleines Einzugsgebiet + kein großer Fluss) also nicht personell besetzt, aber es werden aufgrund anderer Kriterien automatisch Meldungen versendet.

Katwarn

Katwarn-Meldungen von 11:17 und 17:17 sind durch die Medien bestätigt worden. Dies passt auch mit einer internen Aufstellung der versendeten Meldungen.

https://fragdenstaat.de/anfrage/hochwasser-ahr/622728/anhang/KATWARN_Meldungen.xlsx

VZP ist MEZ also um eine Stunde versetzt zusätzlich ist es eher der Beginn (welche Information sind enthalten) der Berechnung einer Vorhersage und nicht der Fertigstellungszeitpunkt. Somit lässt ich eine Verschiebung von 4h zwischen VZP und Veröffentlichung erklären. Wenn auch diese Frist deutlich zu lange ist.

NINA / Meine Pegel

Als alternativen Weg der Datenweiterleitung sind die Apps NINA und Meine Pegel vorgesehen

Die Frühwarnung wie auch die Meldung über Meine Pegel hat so weit funktioniert. Die vom Hochwassermeldezentrum zugesagte Information wurde somit veröffentlicht.

Andere Bundesländer

Es gibt also eine Hochwasservorhersage für das Ahrtal und diese funktioniert mehr oder weniger wie beschrieben, aber wie ist es im Vergleich zu anderen Regionen?

Zum Vergleich Baden-Württemberg

Das HVZ in Baden-Württemberg nutzt intern seit mindestens 2013 für die größeren Flüsse folgendes Vorhersagemodell mit Vorhersagebändern.

Fachartikel 2014

Der Neckar in Offenau ist mit einem Einzugsgebiet von 12320 ein größerer Fluss. Es wird also versucht eine Vorhersage (roter Strich) von 12h zu erreichen zusätzlich soll eine Abschätzung für 18h erreicht werden. Diese Grenzen sieht man nicht im Normalbetrieb, da gibt es längere Prognosen. Im Hochwasserfall wird aber aufgrund der Unsicherheiten entsprechend gekappt.

In den Hinweisen wird für die verschiedenen Vorsagepegel ein unterschiedliches Prognoseziel angegeben.

Hinweise Vorhersage

Offenau hat auch einen detaillierten Evakuierungsplan, der ab einem gewissen Pegelstand greifen kann. Dies nur zur Verdeutlichung was am anderen Ende der Meldekette mit einer korrekten Vorhersage umgesetzt werden kann.

Pegel für mittlere Einzugsgebiete

Der mir nächste Pegel mit Vorhersage ist in Ebnet der Pegel der Dreisam.

Hier gibt es bei 257 km² Einzugsgebiet keine Vorhersage, aber der Versuch der Abschätzung von 3h. Für die Kinzig mit 672 km² Einzugsgebiet, das dem der Ahr ähnelt gibt es den oben genannten roten Strich mit 6h Vorhersage und im Hochwasserfall 9h Abschätzung.

Die Daten für Pegel vergleichbar mit Müsch und Altenahr werden also automatisch in der meiner Meinung nach gut nutzbaren Form mindestens alle 3h auf der Webseite veröffentlicht. Im Hochwasserfall reduziert sich die Frist auf 1h, aber es wird der Prognosezeitraum gekürzt.

Frühwarnung

Alternativ gibt es auch in BW die Frühwarnung für die nächsten 24h bzw. 48h für die kleineren Einzugsgebiete

Häufigere Aktualisierung im Hochwasserfall

Stand 2014 sollten für größere Pegel die Vorhersagen stündlich aktualisiert werden:

https://www.hvz.baden-wuerttemberg.de/pdf/HVZ%20Broschuere.pdf

Laut einer Übersicht von 2018 wird bei einer Starkregenwarnung oder von einem Pegel über HQ10 die Frequenz der Aktualisierung der Vorhersage automatisch deutlich erhöht

https://www.hvz.baden-wuerttemberg.de/pdf/HVZ-Betriebszustaende.pdf

Dies kann in der Regel wohl mit automatischen Verfahren sicher gestellt werden.

Rund um die Uhr Betrieb

Im Hochwasserfall soll in Baden-Württemberg ein Team vor Ort sein um die Prognosequalität zu verbessern.

Die genaue Warnschwelle ab wann in Baden-Württemberg in den 8h-Schichtbetrieb gewechselt wird, ist in aus den von mir geprüften veröffentlichten Dokumenten nicht zu erkennen.

Erfahrungsaustausch Hochwasservorhersage 2003

Aber die Schwelle war 2003 relativ niedrig und in einer aktuellen Stellenausschreibung wird die Bereitschaft für Schichtdienst immer noch verlangt.

Stellenausschreibung LUBW 2020

Bedeutet in Baden-Württemberg ist im Hochwasserfall immer ein fachkundiger Ansprechpartner in der Hochwasservorhersagezentrale verfügbar.

Was gibt es zusätzlich?

Laufzeiten

In Bayern werden auf den Seiten des Hochwassernachrichtendienstes Laufzeiten zwischen den großen Pegeln angegeben. Diese Information hilft sicher bei der Lagebeurteilung. In

https://www.hnd.bayern.de/pegel/donau_bis_passau/hofkirchen-10088003/gebiet

In NRW wird was ähnliches in der Mustervorlage der Hochwasseraktionspläne beschrieben

https://www.flussgebiete.nrw.de/system/files/atoms/files/bra_alarmplan_muster.pdf

Abflusstafel

In Bayern gibt es für die größeren Pegel Abflusstafeln an denen man Pegel und Abfluss ablesen kann. Somit ist es relativ einfach ohne die Unterstützung einer Vorhersage die Pegel der Scheitelwelle aus bekannten Abflüssen der oberhalb gelegener Pegel zu berechnen.

Zurück nach Rheinland-Pfalz

Hat der Hochwassermeldedienst in Rheinland-Pfalz geschlafen?

Der Hochwassermeldedienst in Rheinland-Pfalz ist gegenüber dem von Baden-Württemberg in mehrfacher Sicht schlechter aufgestellt:

  • Kein gesicherter 24h Betrieb im Hochwasserfall
  • Einzugsgebietsgröße für Pegel mit im Internet veröffentlichter Abschätzung ist 500 km² statt 200 km².
  • Vorhersagebänder sind nur für wenige Hauptpegel verfügbar

War dies dem Hochwassermeldedienst unbekannt?

Aus dem Bericht für die Hochwasser 2016 der LfU Rheinland-Pfalz

Nachtdienst freiwillig

Kein Angeordneter Dienst somit wohl keine zusätzliche Vergütung für Bereitschaftszeiten. 2016 lief wohl somit die Scheitelwelle von Müsch nach Altenahr ohne, dass eine Person vom Hochwassermeldezentrums Dienst hatte:

Hochwasserschwelle mitten in der Nacht

Somit war es nicht verwunderlich, dass die Benutzer der Campingplätze überrascht wurden:

Campingplätze wurden überraschend überflutet

Eine Rufbereitschaft ist wohl nicht grundsätzlich geklärt sondern muss situativ eingerichtet werden.

Bericht 2016

Es wurden 2016 wichtige Arbeiten geschoben. Dies ist für mich eine relevante Information. Eine Hilferuf einer für den Bevölkerungsschutz notwendigen Abteilung. Hier ist zu prüfen wie viele neue Stellen nach dem Hilferuf geschaffen wurden.

Separater Lagebericht

Information für die Ahr nach dem Höchststand 2016. Nach dem Hochwasser wurde 2016 dann mehr Aufmerksamkeit auf das Ahrflussgebiet gelegt.

Bericht 2016

Hier ist die Frage ob für ein so großes Einzugsgebiet nicht automatisch ein Lagebericht erstellt werden sollte. Hier sollten in der Meldeverordnung die Schwellen gesenkt werden.

Dauer bis Pegeldaten verfügbar sind

Es wird eine Verzögerung von 1:10h bis 1:40h für Pegeldaten angesprochen

Dies soll wohl in verschiedenen Projekten angegangen werden.

Ankündigungen Verbesserungen 2016

Die 2016 von der LfU angekündigten Verbesserungen für Frühwarnungen wurden wohl umgesetzt. Nur waren dies keine Verbesserungen für mittelgroße Gebiete.

Bericht 2018

2018 war die Rufbereitschaft auch noch nur situativ und nicht komplett geregelt

Bericht 2018

Stündliche Vorhersagen

2018 wurden für eine Frühwarnung an einem kleinen Pegel stündlich manuell Vorhersagen berechnet.

Bericht 2018

Diese Vorhersagequantität gab es aus mir unbekannte Gründen 2021 für das Ahrhochwasser nicht.

Warnung nach Rücksprache mit Behörden (Dammbruch)

Bericht 2018

Von einer Rücksprache mit dem Krisenstab um weitere Warnungen aus dem Hochwassermeldezentrum anzustoßen wurde bisher auch nicht berichtet. Katwarn Lila war das Maximum.

Modellprobleme bei verspäteten Pegeldaten

Dieses Modellproblem könnte mit evtl. verschluckten Pegeldaten vom Pegel in Müsch 2021 wieder aufgetreten sein. Hier bin ich auf den Endbericht gespannt.

Verbesserungswünsche 2018

2018 wurden auch weitere Verbesserungsschritte beschrieben:

Konzepte und Analysen sind wichtig, nur muss es auch genug Personal geben um dies alles umzusetzen.

offene Punkte

Zusammengefasst sehe ich folgende Ansatzpunkte:

  • Dauerhafte Besetzung des Hochwassermeldezentrums bei Hochwasser (HQ2 ist/HQ10 Prognose > 50%?) an Einzugsgebieten > 200 km²
  • Lageberichte nicht nur im 24h Takt sondern öfter
  • Nutzung von Prognosebandbreiten für alle Einzugsgebiete > 200km². Somit schnellere Einführung von LARSIM
  • Ausreichender Personalstamm für Projekte, Bereitschaft und Schichtbetrieb
  • Verbesserung der Pegeltechnik um Latenz zwischen Pegelmessung und Verfügbarkeit im Hochwassermeldezentrum auf < 15 Minuten zu reduzieren
  • Im Hochwasserfall maximal stündliche Prognosen mit Vorhersage und Abschätzung

Schlussfolgerung

In Rheinland-Pfalz wurde offensichtlich nicht genug in den Hochwassermeldedienst investiert.

Hier ist die Politik gefragt. Ohne genügend Personal und technische Ressourcen lässt sich der Hochwassermeldedienst nicht auf einem zu anderen Bundesländern vergleichbaren Niveau durchführen.

Die technischen Mitarbeiter in den Behörden haben mehrfach öffentlich Kritik an der mangelnden Ausstattung getätigt. Die 2018 angesprochenen Fortschritte gehen in die richtige Richtung, es geht aber zu langsam.

Eine Aufarbeitung des Hochwassergeschehens im Ahrtal 2021 wird zu dem Schluss kommen, dass mit einer besseren Prognosequalität der lokale Katastrophenschutz bessere Entscheidungen hätte treffen können.

Update 27.8.2021

Sofortmaßnahmen

Aus den Antworten auf meine Nachfrage ergeben sich meiner Meinung nach folgende Sofortmaßnahmen:
- Wenn ein Pegel ausfällt darf nicht ein älterer Wert des Redundanzpegels genommen werden
- Wenn beide Pegel bei einem Wert im HQ Bereich ausfallen muss sofort eine manuelle Pegelablesung über den Katastrophenschutz organisiert werden
- Für ein Einzugsgebiet > 500km² muss die Vorlaufzeit für automatische E-Mail auf eine höhere Zeit als 5h gesetzt werden
- Eine Aktualisierung alle 3h und 5h Abstand für automatische E-Mails ist komplett wiedersinnig. Im Worst-case ergibt das eine Warnung mit 2:01h Abstand. Es muss stündlich aktualisiert werden.

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Thomas Strub

Diplom Informationswirt. Arbeite als Softwareentwickler. Schlage zu oft die Hände über dem Kopf zusammen wenn ich S-Architektur sehe — Lebe im schönen Breisgau.