Nimbys im Breisgau — Windkraft

Thomas Strub
8 min readMay 15, 2024

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In Ehrenkirchen sollen Windräder gebaut werden und jetzt gibt es wenig überraschend Gegenwind durch die Bürgerinitiative “Unser Breisgau”

Ich finde es schräg, wenn XY-Gegner Gründe gegen XY anbringen, die kompletter Unsinn sind oder auch von der Relation her unbeachtlich. In der Sache kann es trotzdem gute Gründe dafür oder dagegen geben. Nur sollte man sich meiner Meinung nach auf die wenigen guten Gründe beschränken. Das Gewicht eines guten Arguments wird durch ein schlechtes nicht höher, sondern eher weniger.

Letztes Wochenende war in meinem Briefkasten ein Flyer der BI und die ersten Punkte will ich hier bewerten.

Punkt 1 — Wertverlust

Grundstückswerte sind derzeit eines der Themen, die ich genauer betrachte (Hier und hier). Diese werden ja für die Grundsteuer ab 2025 verwendet und innerhalb einer Gemeinde hängt die Steuergerechtigkeit an den Bodenrichtwerten der Grundstücke.

Einen organisierten Aufschrei aus der Bevölkerung wegen teilweise 56% niedrigeren Bodenrichtwerten als das Nachbargrundstück konnte ich bisher nicht hören.

Relevant für den befürchteten Wertverlust der Grundstücke in Ehrenkirchen sind wohl nur der

  • Erlenweg/Kapellenring
  • Im Breil

Die Bereiche Hofenstraße und Ambringen haben schon einen auf 2/3 reduzierten Grundstückswert gegenüber dem Breil bzw. Erlenweg.

BORIS-BW

Auf der Karte sieht man noch Bad Krozingen mit Bodenrichtwerten von über 800€. Dort wird auch mit den Windrädern die Ortsrandlage immer potentiell einen höheren Wert haben als ein Innenbereich.

Somit scheint hier derzeit eine Falschbewertung von vielen Grundstücken vorzuliegen. Eine abstrakte Gefahr, dass Grundstücke bis zu 30% an Wert verlieren ist für mich nicht plausibel.

Umgekehrt will ich den Aufschrei der Ortrandlagenbewohner nicht hören, wenn für alle Grundstücke am Ortsrand pauschal 30% mehr Grundsteuer als für innenliegende Grundstücke bezahlt werden muss.

Aber den Punkt nehme ich gerne mit beim weiteren Weg für eine fairere Grundstücksbewertung und somit faire Grundsteuer.

Punkt 2 — Verschandelung

Als ich 2005 mein Haus gebaut hatte, habe ich meinem Nachbarn auch den Ausblick verschandelt, die freie Sicht wurde durch mein Haus versperrt. Ortsrandlage ist ein Privileg und es gibt keinen rechtlichen Anspruch darauf, dass alles 10 Jahre später immer noch gleich aus sieht wie davor.

Für mich ist das eher ein Punkt in der politischen Beurteilung. Die Bundesregierung will, dass in Baden-Württemberg von 1,8% der Fläche mit Windkraft Energie geerntet wird. Gesetze wie das Wind-an-Land-Gesetz wurden deswegen durch den Bundestag gebracht. “Alternativlos”

BMWK
BMWK

Es ist also eine politische Entscheidung solche Projekte durchzusetzen. Es ist Realität, dass die Anlagen wenn sie nicht hier gebaut werden bei jemandem anderen in Baden-Württemberg oder Breisgau-Hochschwarzwald vor der Tür stehen.

Da sage ich dann Bravo. Gut gebrüllt NIMBY.

Ehrenkirchen hat eine Fläche von 3776 ha. Davon sind 1,8% 68 ha. Also ein Quadrat mit 800m Seitenlänge. Das entspricht relativ genau der geplanten Fläche für die 4 Anlagen.

iTerra — im Ratsinformationssystem Ehrenkirchen

Einen Vorschlag wo in Baden-Württemberg die Anlagen für 1,8% hingestellt werden sollen kann ich der Seite von “Unser Breisgau” nicht entnehmen.

Punkte 3+4 — Lärm und Infraschall

Lärm

Meiner Meinung nach ist es ein berechtigtes Anliegen keinen zusätzlichen Lärm zu erzeugen und damit auch Menschen vor Lärm zu schützen. Bei neuem durchgehendem Lärm, der durch technische Anlagen erzeugt wird ist die Akzeptanz sehr niedrig. Die Immissionsrichtwerte der TA Lärm

UVP-Niedersachsen

mögen zwar rechtlich eine Grenze sein, aber mit dem maximalen Vorsorgeprinzip das an anderer Stelle gefordert wird, würde ich mir hier niedrigere Schwellen für Windkraftanlagen in Schwachwindregionen wünschen.

Insbesondere das Verfahren um den in der BZ so genannten “Gersbacher Windpark-Lärmstreit” für den Windpark Rohrenkopf sorgt bei mir nicht für viel Vertrauen. Nachbesserungen oder gar ein Rückbau falls sich in der Lärm-Berechnung für die Genehmigung Fehler eingeschlichen haben sind damit über eine Lärmmessung nicht zu erreichen.

Somit muss im Vorfeld sehr genau darauf geachtet werden, dass hier sauber gearbeitet wird.

Aber

Die 3 Größen

  • Windgeschwindigkeit
  • Hintergrundlärm
  • Lärm durch ein Windrad

korrelieren sehr stark. Bedeutet das Delta an Lärm durch ein Windrad ist sehr schwer zu bestimmen. Hier muss man sehr vorsichtig sein, wenn man pauschal den Lärm als Problem bezeichnet.

Infraschall

Hier geht es um den Schall unter 20 Hz, der im Hintergrund insbesondere bei Wind im Freien auch schon sehr stark vorhanden ist.

Die Grafik lese sich so, dass im Hintergrund bei 6,5 m/s im Freien schon ein Schallpegel von 70–75 dB für die Frequenz von 1 Hz möglich/üblich ist.

2002 wurden verschiedene Schlafzimmer von Personen, die unter einem Brummton litten, in der Nacht bemessen. 35 dB bei 3 Hz war in den verschiedenen Messreihen im Einfamilienhaus bei geschlossenen Fenstern durchgehend normal.

LUBW — Untersuchung des Brummton-Phänomens

Mich überzeugt die Kurve der Wahrnehmbarkeitsschwelle bei tieffrequenten Geräuschen auch nicht vollständig, da die Schallübertragung von Luft auf Objekte und dann in einem anderen Spektrum zurück, ausgeblendet wird. Aber wenn die Eigenfrequenz nicht getroffen wird ist alles wie ein Stein zu sehen und der Schall wird absorbiert und wandelt sich nicht in fiesen Lärm um.

Dazu ein Beispiel aus Norsingen:

Badische Zeitung 14.05.2024

Mit dem vorliegenden Studienmaterial würde ich aber den um 10 dB höheren Pegel im Infraschallbereich (bis 20 Hz) bei 150m Abstand als ein von der Relation unbeachtlichen Punkt ansehen. Lärm im Wahrnehmungsbereich ist hier das Problem. Infraschall ist vorgeschoben.

Punkte 6 + 7 — Mikroplastik

https://unser-breisgau.de/auswirkungen.html

Mikroplastik

Ja die Windradflügel verlieren mit der Zeit Material, aber wie groß ist die Menge im Vergleich zu anderem Plastikverlust im Wasserschutzgebiet Hausen

badenovanetze

Verkehr

Laut ADAC ist der durchschnittliche Reifenabrieb je 1000km Strecke etwa 120 g synthetischer Kautschuk.

Relevante Strecken sind

BürgerGIS
  • 6 km A5 zwischen Hartheim und Munzingen
  • 10 km B3 zwischen Tunsel und Schallstadt
  • 2 km L125 zwischen Bad Krozingen und Batzenberg (+ 5km auf der B3 für die Zählstelle Pfaffenweiler)

Verkehrszählungen ergeben folgende Anzahl an Fahrten:

  • A5 55.000 PKW + 10.000 SV (Schwerverkehr) pro Tag (Zählstelle Hartheim)
  • B3 5.500 PKW + 330 SV (Zählstelle Scherzingen)
  • L125 18.000 PKW + 340 SV (Zählstelle Pfaffenweiler)

Mit den Zahlen ergeben sich folgen Werte:

Eigene Darstellung

Also bei durchschnittlichem Abrieb 25 t synthetischer Kautschuk pro Jahr für die 3 Strecken.

Schuhabrieb

In einer Studie des Fraunhofer-Instituts Oberhausen wurde die geschätzte Menge an Mikroplastik pro Person auf in Summe 4.000 g pro Jahr berechnet. Davon 100 g durch den Abrieb von Schuhsohlen. Im Gebiet des WSG Hausen wohnen über 20.000 Einwohner.

Eigene Darstellung

Damit entweichen rechnerisch 2t Mikroplastik durch Schuhabrieb in die Umwelt.

Mar de plástico (Plastikmeer)

Wenn man mit offenen Augen durch die Region läuft, stärker fällt es auf, wenn man vom Berg in die Ebene schaut sieht man zwar kein Plastikmeer, aber doch viele Plastikinseln im WSG Hausen.

badenova.de

Üblicherweise unter Folie oder im Gewächshaus sind Erdbeeren, Spargel, Kartoffeln und Sonderkulturen. Hagelnetze für Obstbäume könnten auch von Plastikabrieb betroffen sein.

buerger-gis

Die meisten der Folien-Flächen sind fast direkt am Wasserwerk und wenige im Bereich der geplanten Windräder. Grob gezeichnet habe ich eine Fläche mit etwa 1/3 Anteil an Folienkulturen. In Summe ist die Fläche 422 ha bedeutet 140 ha für die weitere Berechnung.

Eine typische Spargelfolie mit Foliendicke 100 µm hat bei einer Dichte von 0,92 g/cm³ ein Gewicht pro ha von etwa 920 kg.

Bedeutet es liegen etwa 130t Folie auf den Feldern im WSG. Ein Verlust von 1% pro Jahr scheint mir plausibel. Die Haltbarkeit der Folien wird mit 8–12 Jahren angegeben. Würde bedeuten bei 10% Gesamtverlust (Dicke + Fläche) werden die Folien ausgetauscht.

Eigene Schätzung

Ergibt mindestens eine Tonne Mikroplastik durch Folienkulturen im betrachteten Gebiet. Diesen Wert würde ich als deutlich überschrittene untere Grenze ansehen.

Windräder

Die Windräder sollen laut Aussage der BI einen Verlust von 80 kg pro Windrad und Jahr aufweisen. Die 80 kg würde ich für ein Windrad weit weg vom Salzwasser vom Meer auch eher bezweifeln.

In Summe erhöht sich damit die Menge an Mikroplastik um etwas über 1%, wahrscheinlich deutlich weniger.

Für mich somit ein von der Relation her unbeachtlicher Punkt.

Punkt 8 — Gigantische Fundamente

Ich hatte ja bedenken, dass für das Fundament Großbohrpfähle mit 25m–50m Tiefe verwendet werden. Diese werden in Frankfurt typischerweise für den Bau von Hochhäusern verwendet. Ein Betonsockel mit nur 5m Tiefe scheint mir im Vergleich dazu sogar relativ schlicht zu sein. In Summe wird aber pro Windrad gleich viel Erde bewegt wie für 16 m Bahntunnel (Schneidwerk 10,97 m Durchmesser — bei 2 Röhren 190 m² pro m Strecke)

Notwendige Transporte

350 Fahrten somit 700 Bewegungen durch LKW je Windrad ist die Verkehrsmenge mit der die Straßen in 2 Tagen durchschnittlich belastet werden (siehe oben). Wenn die Straßen also wegen 4 Windrädern in Summe 16 Tage (mit Abtransport nach 20 Jahren) kürzer leben fällt das auf die Lebendauer der Straße nicht auf.

Punkt 9 — Umweltbilanz Sockel-Herstellung

Hier gibt es den Punkt der energetischen Amortisationszeit. Wie lange dauert es bis die aufgewendete Energie unabhängig für welchen Teil der Anlage oder des Projekts wieder eingespielt ist. Windkraft liegt da in keiner Berechnung über 2 Jahre.

Energieaufwand Sockel

Wenn man den Sockel als Problem sieht, dann ist es am einfachsten diesen durchzurechnen.

1 m³ Beton braucht bis zu 2.775 MJ/m³ Energie. In der Literatur gibt es auch Angaben mit 1.827 MJ/m³. Für die Berechnung nehme ich die 2.775 MJ/m³. Darin ist der Transport des Betons enthalten!

Eigene Berechnung

Bei mindestens 2000 Vollaststunden ist der Sockel in einem viertel Jahr wieder energetisch eingespielt.

Für mich somit auch wieder ein von der Relation her unbeachtlicher Punkt.

Fazit

Viele der im Flyer genannten Argumente erzeugen bei mir den Eindruck, dass man uninformiert Dinge nachplappert die andere Windkraftgegner schon irgendwo angebracht hatten. Bei genauerer Betrachtung lösen sich aber die meisten in Luft auf. Eine Wiederholung dieser Scheinargumente wird kaum das gewünschte politisches Gewicht erzeugen.

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Thomas Strub
Thomas Strub

Written by Thomas Strub

Diplom Informationswirt. Arbeite als Softwareentwickler. Schlage zu oft die Hände über dem Kopf zusammen wenn ich S-Architektur sehe — Lebe im schönen Breisgau.

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