Hochwasser im Ahrtal 2021

Waren fehlende Daten eine Ursache für die vielen Todesfälle?

Thomas Strub
14 min readJul 21, 2021

Ich lebe selber in einem Hochwassergebiet und habe ich ein solides Basisinteresse an Hochwassern. Mein Hauptaugenmerk ist aber das sammeln und verknüpfen von Daten zur Gewinnung von Information. Daraus lässt sich dann Wissen generieren um Handlungen durchzuführen.

Kleines Update 31.07.2021

Pegel MEZ vs. Sommerzeit

Einschub 27.08.2021

Fehleinschätzung Müsch. Die Webseite vom Pegel in Müsch hatte frühzeitig angegeben, dass die Werte geschätzt waren, ich hatte trotzdem die Werte von bis zu 400cm und den Verlauf dahin als real angesehen. Durch meine Nachfrage zu den E-Mails an den Kreis Ahrweiler wurde der Ausfallzeitpunkt auf 15:30 benannt. Damit fällt eine wichtige Basis für die Einschätzung des Hochwassers weg und die Werte wären damit unterschätzt.

Übersicht

Welche Information war zu welchem Zeitpunkt über das Hochwasserereignis in öffentlichen Quellen vorhanden.

Für die Informationsgewinnung vor einem Hochwasser nutze ich folgende Quellen:

  • Pegel und Abflussmengen im Hochwasserfall
  • Historische Hochwasser

Für die Informationsgewinnung während eines Hochwassers gibt es folgende Quellen:

  • Unwetterwarnungen
  • Regenmengen
  • Abflüsse

Es wurden im Ahrtal Fehler gemacht, sonst wären keine/weniger Menschen gestorben. Die Intension soll aber daran liegen wo war es möglich frühzeitiger die Überschreitung von Warnschwellen zu erkennen.

Haben die Daten gereicht oder braucht es mehr Daten?

Aktuelle Hochwassermarken und Abflussmengen

Im Ahrtal gibt es 7 Pegel:

hochwasser-rlp.de

Für diese habe ich die Stammdaten in eine Liste übernommen.

Eingeteilt in die Segmente 60km+, 30–50 km und < 5km.

Das Wasser, dass im Pegel Altenahr ankommt wird zu großen Teilen durch vorhergehende Pegel erfasst.

eigene Darstellung

Für ein nahezu komplettes Bild für Altenahr würden noch Pegel für Armuthsbach (60km²), Liersbach (28 km²) und Vischelbach (18km²) helfen. Da sie aber Gebiete entwässern, die ähnlich zu schon durch Pegel erfasste Regionen sind, wäre der Erkenntnisgewinn überschaubar.

Pegel Bad Bodendorf

Für Bad Bodendorf mit 860 km² vs. 746 km² gilt auch, dass das Wasser schon überwiegend durch den Pegel davor erfasst wurde.

Evaluierung Pegel 2004

Nach dem Elbhochwasser wurden in Rheinland-Pfalz durch das Landesamt für Umwelt, Wasserwirtschaft und Gewerbeaufsicht der Hochwassservorhersagepegel Altenahr wie auch 26 weitere Pegel in Rheinland-Pfalz angepasst.

Dort wurden für den Pegel Altenahr auch Werte HQ100 und HQ200 bestimmt.

LfU

Der maximal erfassbare Wasserstand sollte 450 cm im Hauptsystem und unbekannt für das Redundanzsystem sein. Der letzte Echtzeitmesswert vom Pegel ist am 14.07.2021 um 19:15 Uhr bei 505 cm verschickt worden. Danach ist der Pegel ausgestiegen.

LfU

Besonderheit Angabe Durchfluss Pegel Altenahr

Am Pegel Altenahr (wie auch allen anderen Pegel bis auf Niederadenau) wird gleichzeitig mit dem Wasserstand auch die Durchflussmenge veröffentlicht.

LfU RLP
LfU RLP

Die Werte vom 14.07.2021 habe ich in eine Grafik übernommen und die abflachende Kurve hat mich verwundert.

eigene Darstellung

Als Laie hätte ich erwartet, dass mit steigendem Wasserstand die Durchflussmenge eher pro cm weiter steigt. Bedeutet 100cm 100m³/s, 101cm 101m³/s 102cm -> > 102 m³/s. Mit steigender Höhe wird das Flussbett breiter, somit sollte zusätzliches Wasser nicht mehr den Pegel so stark steigen lassen. Für weitere Berechnungen extrapoliere ich die Durchflussmenge ab dem Pegelstand von 360cm und nehme nicht die Originalwerte.

Hier bestand die Möglichkeit, dass ein höherer Pegelstand nicht zu einer falschen Warnschwelle flussabwärts geführt hat.

Modell LfU für Pegel Altenahr 17.07.2021 für 14.07.2021

Eine Modellsimulation kam zu einem maximalen Pegelstand von 574cm am 15.07.2021 um 4:00 Uhr. Dies würde nach meiner Berechnung einem Abfluss von etwa 546 m³/s entsprechen. 50m³/s mehr als 1910.

Diese Werte aus dem Model am Pegel stimmen aber zeitlich nicht mit den gemessenen Werten überein.

LfU RLP
LfU RLP

Im Modell war um 19:00 noch ein Wasserstand von 242cm real aber schon 465cm. Hier ist das Modell zu prüfen.

Den Höchststand von 574cm sehe ich aber als real und plausibel an. Die zeitliche Abfolge der Werte somit aber nicht. Hier werden in einem Abschlussbericht sicher andere Werte stehen.

Update 31.07.2021

Die Einschätzung von 550m³/s = 575 cm am Pegel Ahrweiler ist so wahrscheinlich inkorrekt, da durch Rückstaus an Brücken, anderen Hindernissen und Umleitungen das Wasser teilweise deutlich über den theoretischen Pegelwerten gestanden ist.

Historische Hochwasser

2015 wurde von Thomas Roggenkamp das Ergebnis seiner Diplomarbeit aus dem Jahr 2012 (“Rekonstruktion historischer Hochwasser der Ahr”) im Heimatjahrbuch des Kreises Ahrweiler veröffentlicht. Für mich als Außenstehender ist folgendes daraus besonders Interessant.

Lage historische Hochwassermarken:

Thomas Roggenkamp/Jürgen Herget

Und die daraus entsprechend berechneten Scheitelabflüsse:

Thomas Roggenkamp/Jürgen Herget

Von den Hochwassermarken in Altenahr habe ich folgendes Bild gefunden.

Heinz Grates

Diese sind im Straßentunnel Altenahr angebracht. Zu beachten ist aber, dass der Tunnel 1969 breiter gemacht wurde und die Marken somit nicht als exakte Pegel genutzt werden können.

Für das Hochwasser 2021 habe ich noch keine guten vergleichenden Bilder zu den Hochwassermarken (insbesondere Dernau und Walporzheim) gefunden.

Polizei Thüringen über Bild
Quelle unbekannt auf https://www.aw-wiki.de/index.php/Stra%C3%9Fentunnel_Altenahr

Den bisher besten Anhaltspunkt für Altenahr ist der Wasserstand der WG Mayschloß-Altenahr auf dem Bild Mitte (knapp über Fenster 2. OG) vs. einem Höheneindruck des rechten Tunnels, in dem die Hochwassermarken des oberen Bildes angebracht sind.

Ein Abfluss von 550m³/s 2021 vs. 496m³/s 1910 ist somit plausibel.

Update 31.07.2021

Mit neueren Bildern lässt sich auch ein höheres Niveau erklären. Aber das ist nicht wichtig. Ich will nur zeigen, dass der Durchfluss von 1910 sehr wahrscheinlich überschritten wurde.

Bewertung Pegel und historische Hochwasser

Die Werte für HQ100 scheinen mir zu niedrig gewählt zu sein. In der Betrachtung unten werde ich prüfen wann die Information über gemessene Werte vorhanden war, dass eine Überschreitung in Altenahr und Flussabwärts statt finden wird.

Die Marken des Hochwassers von 1910 dürften im Jahr 2021 überschritten worden sein. Was aber Angst macht, ist dass es 1804 ein Hochwasser mit einem wahrscheinlich 2,5-fach höheren Abfluss gab. Meiner Meinung nach müsste man sich jetzt im Vorfeld auf ein solches Extremereignis vorbereiten.

Präsentation Vorsorge Hochwasser Umweltministerium RLP

Bei der Suche nach den Vorbereitungsmaßnahmen ist mir eine relativ aktuelle Präsentation der Wasserwirtschaftsverwaltung von 2018 aufgefallen. Diese wurde von der Stadt Bad Neuenahr Ahrweiler auf der Unterseite Hochwasserschutz abgelegt.

Wasserwirtschafsverwaltung RLP

Hier wird das Extremhochwasser mit einem Pegel von 412cm für den Pegel Altenahr angegeben. 2016 war der maximale Pegel bei 371 cm. 412 cm ergeben mit der Schätzung von oben ein Durchfluss von etwa 300m³/s.

Es fehlt hier der Einbau der Information über die Starkregenereignisse 21.07.1804 (1200m³/s) und 13.06.1910 (496 m³/s).

Auch hier ist somit eine größere Abweichung zwischen verwendeten Werten und den Werten aus aktueller Forschung zu historischen Ereignissen zu erkennen. Wie nachteilig sich das auf Vorplanungen des Katastrophenschutzes ausgewirkt hat wird sich sicher auch in einem Abschlussbericht finden sein.

Hochwasserlageübung August 2018

Im Internet findet man noch die Seiten einer Hochwasserlageübung vom August 2018. Da wäre zu prüfen welche Szenarien durchgespielt wurden.

LfU RLP

Hochwassermeldezentrum

RAEP Hochwasser
Wikipedia

Von der Größe des Einzugsgebiets ist es verständlich, dass die Ahr nicht über den Hochwassermeldedienst mit Meldungen versorgt wird.

Informationsgewinnung während des Unwetterereignisses

Mit einem Hochwasserereignis in diesem Umfang wurde im Vorfeld aufgrund des Auslassens von vorhandener Information nicht gerechnet. Das kann passieren. Die Frage ist für mich aber wann in der Chaosphase wäre man in der Lage gewesen zu erkennen, dass nur noch eine Evakuierung von Normalpegel + beispielsweise 5–8m bzw. 1. OG Sinn macht.

Eine Evakuierung kann immer noch das letzte Mittel sein, aber nicht umsonst haben Schiffe genug Rettungsmittel für jeden Gast und es wurde sehr viel in Tsunamiwarnsysteme investiert.

Im Vorfeld wäre zu klären gewesen ob man nicht Wohnbereiche mit Boden 20 cm unterhalb der Hochwassermarke von 1804 als entsprechendes Risikogebiet festlegen müsste um bei einer Warnung Hochwasser “extrem/Tsunami” Evakuierungen schneller durchführen zu können.

Unwetterwarnungen

Mit den Unwetterwarnungen will ich mich nicht näher beschäftigen. Es gab deutliche Warnungen vor Regenfällen und die interessierten Personen haben bis zu 7 Tage vor dem Hochwasser Warnungen erhalten, dass eine Hochwassergefahr besteht. Hier bei uns am Schwarzwald für die Möhlin gab es am Dienstag Starkregen mit einem HQ2 und es waren für Donnerstag und Freitag bis zu 180mm/m² Wasser innerhalb von 48h prognostiziert. Da war die Gefahr eines Hochwassers mit Höchststand HQ100 oder mehr auch real. Insbesondere da auch hier durch die Regenfälle davor die Böden schon ziemlich gesättigt waren.

Meldungen/Warnungen DWD

13.07.2021

Dies war die am 13.07.2021 veröffentlichte Karte des wahrscheinlichen 48h Regens.

https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/7/13.html

Der Bereich des Ahrtals liegt irgendwo zwischen 100mm und 120 mm/m².

Mit diesem Wissen gehe ich davon aus, dass die für den Katastrophenschutz zuständigen auch in Rheinland-Pfalz einen Voralarm erhalten haben und sich auf ein HQ100 vorbereitet haben. Das letzte HQ100 war am 2.06.2016 und damit kann man eine gewisse Routine in den Abläufen erwarten.

15.07.2021

Dies ist das nach dem Hochwasser veröffentlichte Bild der Niederschlagsmengen, die wahrscheinlich über den Regenradar gesammelt wurden.

https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2021/7/15.html

Beachtlich ist, dass das Hauptregenband westlich des Ahrtals niedergegangen ist. Deswegen zeigen die von mir unten genannten Pegel auch leicht niedrigere Werte an.

Regenmengen

Alternativ zu den Regenradarbilder kann man die Regenmengen auch direkt am Boden erfassen. Die Werte werden von der Agrarmeteorologie Rheinland-Pfalz veröffentlicht. Es gibt einige Stationen in Rheinland-Pfalz im Bereich des Ahr Einzugsgebiets und die Werte werden stündlich mit weniger als 45 Minuten Verzögerung veröffentlicht.

drl.rlp.de

Die Regenwerte von ausgewählten relevante Stationen für den 14.07.2021 habe ich übernommen.

eigene Darstellung Quelle drl.rlp

Der Pegel in Kirmutscheid ist keine 4 km von der Wetterstation in Nürburg-Barweiler entfernt. Leider ist die Station bei 80mm für den 14.07.2021 ausgestiegen. Aber für das Abflussgebiet dürfte dieser Wert sehr repräsentativ sein. Der Regen hat nach 11:00 begonnen und ging bis 21:00.

Die Stationen sind von Süd-West nach Nord-Ost sortiert, zusätzlich nimmt die Höhe auch von links nach rechts ab. Die Regenmenge war in dem Gebiet also etwa 100 — 70mm/l in 24h. Das stimmt grob mit den Werten des Bildes vom DWD vom 15.07.2021 überein. Stationen in NRW dürften noch höhere Werte erreicht haben.

Regenfolge

Ab einer gewissen Regenmenge wird der zusätzliche Regen sofort in die Flüsse gehen und somit ist eine obere Abschätzung des maximal möglichen Abflusses

Einzugsfläche * Regenmenge / Zeit

746 km² * 30 mm/m² / 6h = 1036 m³/s

Das war naiv meine Schätzung zu der Hochwasserscheitelwelle. Dies nur als Vergleich zu Regenfällen von 150mm/m2 oder mehr. Somit war die Regenmenge schon gewaltig, aber ich kann mir gut vorstellen, dass das Hochwasser von 1804 durch einen noch stärkeren Regen verursacht wurde.

Ein Teil des Wassers wird trotz vollgesogenem Boden noch aufgenommen und somit wird dann doch weniger Wasser gleichzeitig in die Bäche und Flüsse gespült.

Bei Winterhochwasser ist die Gefahr von Starkregen bei gefrorenen Böden höher. Da würde sich das komplette Wasser quasi gleichzeitig in den Flüssen sammeln und wenn dann noch Eisbruch dazu kommt wird es garantiert verheerender.

Vergleich Regenmengen 2016

Das letzte bekannte Hochwasser war 2016 in der Region. Hier zur Information die Regenmengen der entsprechenden Tage vor dem 02.06.2016 an den oben genannten Wetterstationen.

Agrarmeteorologie RLP

Am 14.07.2021 um 15:00 Uhr war 2021 der Wert für den 1.06.2016 überschritten.

Mit der Vorhersage vom 13.07.2021 war ein Hochwasser über dem Wert von 2016 zu erwarten. Mit den gemessenen Werten war dieser Fakt schon um 14:00–16:00 im kompletten Ahrgebiet garantiert. Eine Wetterverbesserung hätte einen Scheitelwert von einem HQextrem nicht mehr verhindern können. Es hat aber weiter geregnet.

Pegelstände/Abflüsse

Die Pegelstände werden 15 minütlich erhoben und innerhalb von 5-20 Minuten verfügbar.

Die Pegelstände des Hochwassertages habe ich von den Unterseiten übernommen und in ein Google-Spreadsheet übertragen.

Update 31.07.2021

Die Pegelwerte sind MEZ. Damit ergibt sich teilweise eine Diskrepanz von einer Stunde. Die Werte werde ich in diesem Artikel nicht mehr anpassen.

Aus den einzelnen Pegelständen

Die Steigerung der jeweiligen Pegelstände sind jeweils je nach Flusskilometer zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

Pegelstände in cm

Den zeitlichen Versatz sind man deutlicher wenn man die veröffentlichten Abflussmengen nimmt. Leider sind meisten Pegel ab einem gewissen Punkt ausgestiegen oder melden keinen Wert für den Abfluss.

Angabe Durchfluss in m³/s für die jeweiligen Pegel

Die Hauptpegel der Ahr gehen in Müsch um 16:00 Uhr über 200m³/s, in Altenahr 18:15 Uhr über 200m³/s und in Bad Bodendorf um 21:45 Uhr über 200m³/s. Rechnet man noch die vergrößerten Einzugsgebiete flussabwärts ist eine Schätzung der Geschwindigkeit des Hochwasserscheitels von 10 km pro Stunde eher noch zu hoch.

Vorhandene Information 16:20

Regenmengen

  • Die Regenmengen von 15:00–16:00 sind hoch (5–8mm/l), aber nicht mehr so stark wie 11:00–14:00. (bis 19,6mm/lh). Eine komplette Entspannung der Situation noch nicht zu erwarten. Regenmengen für den Nordöst

Pegel

  • Pegel Müsch ist deutlich über dem HQ 100 Wert.
  • Niederadenau ist auch ziemlich hoch, eine Einschätzung was ein Wert von 150 cm zu bedeuten hat ist nicht genau möglich. Hier wäre vielleicht ein Ortkundiger zu fragen wie das Profil des Pegels ist.
  • Der Pegel in Kreuzberg ist bei 12/19 des HQ 100 Wertes.
  • Denn: Pegel mit 24 m³/s noch deutlich unter dem HQ100 Wert.

Prognose

  • Altenahr. Der bisherige Scheitel von Müsch wird in etwa 3h den Pegel von Altenahr erreichen. Auf dem Weg wird noch zusätzlich Wasser von 400km² mitgenommen. Der Pegel in Denn ist noch unkritisch. Die Pegel von Niederadenau und Kreuzberg sind auch schon sehr hoch. Zusammen wird ein Scheitel von 206m³/s + 24m³/s + 12 m³/s = 242m³/s garantiert überschritten. Ein Wert von 410 m³/s wäre mit einer naiven Hochrechnung möglich. Ein HQ100 wird eintreffen. Ein stärkeres Hochwasser ist möglich.
  • Bad Bodendorf. Der Pegel in Altenahr noch weit von der Hochwasserschwelle entfernt. Der Pegelstand in Müsch führt auch in Bad Bodendorf zu einem HQ100. Flussnahe Gebiete sind zu informieren.

Spätestens 16:30 war meiner Meinung nach genug Information da um die höchste Warnstufe für Hochwasser (Alarmstufe 5) im Kreis zu aktivieren.

RAEP Hochwasser Stand 20.08.2018

Für die Alarmstufe 4 hat es sicher schon gereicht:

RAEP Hochwasser Stand 20.08.2018

Update 31.07.2021

Die Einschätzung verschiebt sich wegen der MEZ-Problematik auf 17:20.

Ist 16:50

Facebookpost der Stadt Bad Neuenahr-Ahrweiler

  • Höchstand im Laufe der Nacht
  • Sandsäcke sind die letzten Tage gerichtet worden
  • Mitarbeiter des Ordnungsamtes waren zur Information der Bevölkerung in den Ahralleen unterwegs.
  • Keine Panik

Ist 17:40

Laut Pressemitteilung des Kreises Ahrweiler nach 19:15 (Pegelstand Altenahr 5,09 Meter — Facebook 20:46) wurde um 17:40 die Alarmstufe 4 für Hochwasser ausgerufen. Es wird auch von Campingwagendächern geretteten Personen gesprochen. Von Evakuierungen ist nichts zu lesen.

Vorhandene Information 18:20

Es wurde die Alarmstufe 4 des Hochwassereinsatzplans aktiviert.

Regenmengen

  • Die Regenmengen von 17:00–18:00 sind im Bereich Dreis-Brück mit 17 mm/lh noch ein mal sehr hoch. Somit ist noch einmal mit eher steigenden Pegelständen aus dem Oberlauf der Ahr zu rechnen.

Update 31.07.2021

Hier kann sich durch die MEZ Pegelwerte die Bewertung auch leicht verschieben.

Pegel

  • Kirmutscheid HQ100 leicht überschritten
  • Müsch Abfluss ist 304m³/s und somit das doppelte eines HQ100. Auch ohne zusätzliches Wasser würde diese Scheitelwelle den Wert von HQ100 an allen nachfolgenden Pegel an der Ahr zum überschreiten bringen
  • Niederadenau Der Pegel ist noch mal um 35cm gestiegen.
  • Denn Weiterhin hohe, aber eher alleine eher unbedenkliche Wert für den Abfluss
  • Kreuzberg Der HQ100 Wert wurde mit 52m³/s um Faktor 2,7 überschritten.
  • Altenahr Der Pegel ist mit 174 m³/s noch unter dem Wert von HQ100. Somit sind flussabwärts bisher keine größeren Schäden zu befürchten
  • Bad Bodendorf Der Pegel ist mit 71m³/s noch unter dem Wert von Altenahr vor 2h. Das Hochwasser ist bisher ein Problem der Gemeinden flussaufwärts.

Prognose

  • Altenahr Die Summe der Abflüsse flussaufwärts liegt mittlerweile bei 400m³/s. Somit ist ein Wasserstand von über 480cm zu erwarten. Der Wert für das Extremhochwasser wird um mindestens 70cm überschritten. Das Hochwasser von 2016 wird deutlich übertroffen. Die damals getätigten Schutzvorkehrungen werden nicht ausreichen.
  • Bad Bodendorf in 4–5h wird ein Hochwasser über dem bisher verwendeten Wert für ein Extremhochwasser eintreffen. Der Alarmplan Stufe 5 müsste jetzt aktiviert werden, da das Hochwasser HQexterm erreichen kann.

Hier wäre meiner Meinung schon eine Rückmeldung an das Land RLP und andere Stellen notwendig gewesen um die Information der Stärke des Hochwassers an die Bevölkerung über die Warninfrastruktur durchführen zu können.

Update 31.07.2021

Der Innenminister des Landes war beim Krisenstab. Somit gab es Rückmeldung.

ist 18:30

  • Pegel Kreuzberg fällt aus

ist 19:00

  • Pegel Müsch hatte mit 4m und 320m³/s einen Maximalwert und sinkt wieder.

ist 19:15

  • Pegel Altenahr fällt aus

Vorhandene Information 20:20

Regenmengen

  • Nach dem neuerlichen Höchstwert in Dreis-Brück sind alle Wetterstationen bei Regenmengen zwischen 2 und 5 mm/lh.

Pegel

  • Kirmutscheid und Müsch haben wieder sinkenden Pegel bei hohem Niveau.
  • Niederadenau mit 202cm neuer Höchstwert
  • Denn Der Pegel ist mit 67m³/s knapp unter HQ100 also kommt auch aus dem Bereich jetzt eine große Menge Wasser
  • Kreuzberg Der Pegel ist bei 66m³/s ausgefallen.
  • Altenahr Der Pegel ist 19:15 bei einem Wasserstand von 505cm ausgefallen. Durchfluss geschätzt 424m³/s die Angabe des Pegels ist 332m³/s.
  • Bad Bodendorf Pegel ist mit 116m³/s bei etwa 1/4 des Wertes in 4h.

Prognose

  • Altenahr und flussaufwärts sind abgesoffen
  • Bad Bodendorf und Umland sollte sich schleunigst auf ein Hochwasser mit extremen Ausmaßes vorbereiten. Flussnahe Wohnbereiche sind zu evakuieren. Der Wasserabfluss wird die Werte für für HQextrem/HQ(200) überschreiten.

Ist 23:15

Pressemitteilung des Kreises Ahrweiler (Facebook 23:27):

  • Alarmstufe 5 wurde ausgerufen
  • Bereich 50m links und rechts der Ahr in Bad Neuenahr-Ahrweiler, Sinzig und Bad Bodendorf werden “derzeit” evakuiert.

Meinung

Ich bin der Meinung, dass die notwendigen Informationen für eine Ausrufung der Alarmstufe 5 schon vor 17:00 gegeben war. Alarmstufe 4 hätte schon mit der Unwetterwarnung am Vortag greifen müssen.

Somit wären auch alle weiteren Schritte deutlich früher gestartet worden. Dies hätte auch eine frühzeitige Evakuierung für den Bereich ab 10km vor dem Pegel in Altenahr flussabwärts (etwa alles ab km 40) ermöglicht.

Es hätte eine zweite Evakuierungswelle geben müssen, in der alle Wohnbereiche im EG/1.OG in Flussnähe geräumt werden. Somit auch weiträumiger als 50m links und rechts der Ahr.

Das Wissen über ein Hochwasser mit über 500m³/s Abfluss wurde ignoriert. Eine naive Berechnung der Folgen von den prognostizierten Regenmengen ist ausgeblieben. Die Regendaten aus 2016 waren vorhanden und ein schneller Überschlag 2016 mit 50mm = 3,69m = 236m3/s -> 2021 mit 100mm = x,xx m = yyy m³/s Pegel ist ausgeblieben.

Als das Hochwasser die für ein HQextrem erwarteten Ausmaße überschritten hatte wurde das zu spät bemerkt. Eine Evakuierung des HQ(1804) konnte deswegen nicht gestartet werden.

Leider hat es zu lange gedauert bis die vorhandene Information auch zu einem beherzten Handeln und damit der Evakuierung der betroffenen Gebiete geführt hat. Das Hauptproblem ist das Fehlen von zusätzliche Karten mit Hochwassergebieten für Abflüsse über HQ100

eigene Darstellung

Die Abflüsse dann zusammenzurechnen bzw. die Pegel umzurechnen sollte nicht das Problem sein.

Update 31.07.2021

Eventuell war durch die MEZ Pegel auch das Wissen über alles erst eine Stunde später verfügbar. Nur die Knackpunkte sind andere. Die Höhe des Wassers hätte weitergehende Maßnahmen erfordet und durch die fehlende Unterstützung des Hochwasserinformationszentrums musste jemand anderes die Stärke des Hochwassers abschätzen.

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Thomas Strub

Diplom Informationswirt. Arbeite als Softwareentwickler. Schlage zu oft die Hände über dem Kopf zusammen wenn ich S-Architektur sehe — Lebe im schönen Breisgau.